Blutegel – Kleine Helfer aus der Natur

von | 29 Dez 2020 | 0 Kommentare

Die medizinischen Blutegel – meine faszinierende Helfer

Vielleicht hattest du bereits Kontakt zu Blutegeln oder du überlegst, ob eine Blutegeltherapie sinnvoll bei deinen Beschwerden wäre. Und jetzt interessiert es dich, was für ein Tier steckt denn dahinter?

  • Wie leben die Egel?
  • Wie erzeugen sie Nachwuchs?
  • Wie alt werden sie?
  • Wie und wo kommen sie für die Behandlung her?

Das sind meistens die Fragen, die mir meine Patienten stellen, wenn ich eine Blutegel-Behandlung bei ihnen mache.

Da der Saugvorgang zwischen 20 bis 90 min dauert, ist häufig genügend Zeit darüber zu sprechen.

Interessante biologische Fakten zu Egeln – Wie lange leben sie? Wie lange sind sie satt?

Blutegel besitzen zwei Saugnäpfe. Ihr Bissapparat befindet sich im vorderen Saugnapf und hinterlässt eine „mercedesstern“-artige Wunde nach dem Saugvorgang. Mit ihren jeweils 80 Zähnen in 3 Kiefern sägen sie sich pendelartig durch die Haut des Wirts.

Facts zum Saugvorgang:

  • Dauer zwischen 20 und 90 Minuten
  • 5-bis 8-fache Zunahme ihres Körpervolumens
  • Saugmenge ca. 10 bis 15 ml
  • Nachblutung ca. 10 bis 15 ml
  • Abgabe der Wirkstoffe aus Öffnungen zwischen den Zähnen
  • Nachblutungszeit bei Erstbehandlung ca. 24 Stunden

Blutegel bewegen sich nur vorwärts – zu Land und zu Wasser. 

 

Biologie der Blutegel

Sie scheiden einen Teil der flüssigen Bestandteile des Blutes während des Saugvorganges über die Egelhaut ab. Was dann in klaren Tropfen sichtbar ist.

Eine Mahlzeit reicht ihnen bis zu zwei Jahre. Und sie haben frühestens wieder nach 5 Monaten Hunger und könnten dann auch erst wieder eingesetzt werden.

Atmung erfolgt über die Haut. Sie können sowohl den Sauerstoff aus der Luft als auch den gelösten Sauerstoff aus dem Wasser verwerten. Daher können sie bei genügend Feuchtigkeit über Wochen auch außerhalb des Wassers überleben.

Alter bis ca. 30 Jahre. Im Stamm der Anneliden (Ringelwürmer) ist dies eine absolute Ausnahme in der Lebenserwartung, die i.d.R. einen 1 bis 2 jährigen Lebenszyklus aufweisen. 

 

Wie entsteht Egel-Nachwuchs?

Medizinische Blutegel sind Zwitter, benötigen aber einen Partner zur Fortpflanzung und befruchten sich gegenseitig.

Beide legen dann Kokons mit ca. 10 – 15 Eiern ab. Diese entwickeln sich abhängig von der Temperatur innerhalb von 4 bis 8 Wochen zu Babyegeln.

Die aus den Eiern geschlüpften Babyegel sind voll entwickelt und ernähren sich aufgrund ihres kleinen Bissapparates zunächst von Benthos (Schnecken, Muscheln) und nach ca. 6 Monaten von Säugetierblut.

 

Babyegel und Kokon auf Hand
Fütterung der Blutegel

In den Zuchtfarmen dauert die Aufzucht bis zur medizinischen Anwendung ca. 2 Jahre. Dabei erhalten die Kleinen ca. 7 Fütterungen mit medizinisch untersuchtem Pferdeblut.

Die weitere Ernährung (eine Blutmahlzeit alle 1 bis 2 Jahre) erfolgt vorrangig mit Säugetierblut. Die Geschlechtsreife tritt ab dem 4. Lebensjahr ein.

Wie sind die Wirkstoffe des Blutegels entstanden?

Das ist ein sehr spannender Aspektt bei der Egel-Therapie (und konnte ich immer wieder selbst beobachten, wenn ich bei Hunden Blutegel gesetzt habe).

Bei am Bewegungsapparat erkrankten Tieren kann man häufig die positive Wirkung durch die gesteigerte Bewegungsfähigkeit unmittelbar nach Abfallen der Blutegel beobachten.

Im Verlauf der Evolution hat sich diese, für die Wirtstiere positive Wirkung, im Instinkt der Wirtstiere eingeprägt. Selbst unsere sehr sensiblen Hauskatzen lassen Blutegel ohne Abwehr an sich saugen. Für die medizinischen Blutegel ist die Akzeptanz durch das Wirtstier entscheidend für das Überleben der Spezies, da aufgrund der Größe der Blutegel, der Saugdauer von bis zu 90 Minuten und seiner Schutzlosigkeit während des Saugvorganges ein aktives Abwehrverhalten des Wirtstieres eine extreme Lebensbedrohung für den Blutegel darstellen würde.

Übertragen Blutegel Krankheiten?

Die Blutegel bringen ein natürliches Sicherheitsmanagement mit. Damit ist eine Infizierung normalerweise ausgeschlossen – sachgmäße Anwendung vorausgesetzt :

 

  • keimfreie Wirkstoffdrüsen der medizinischen Blutegel
  • naturgegebene Quaratänezeit gegen Krankheitsübertragungen (da Egel frühestens 5 Monate nach der letzten Mahlzeit erneut beißen)
  • beim Saugvorgang werden keine Bakterien aus dem Magen-Darmtrakt in die Wunde abgegeben
  • im Magen-Darmtrakt der Egel befinden sich antimikrobielle Substanzen, die Fremdbakterien hemmen
  • die natürliche Bakterienflora auf der Haut der medizinischen Blutegel weist keine Bakterien mit einem Infektionsrisiko für Patienten mit intaktem Immunsystem auf
  • Nachblutung zur Reinigung der Wirtstierwunde

Seit wann werden Blutegel eingesetzt?

Blutegel werden bereits seit Jahrtausenden über alle Kontinente und Zeitepochen als Mittel zur Gesunderhaltung eingesetzt.

Schaut selbst, es fängt bereits bei den Ägyptern an:

1500 v. Chr. Darstellungen der Blutegeltherapie in Pharaonengräbern (Ägypten). 

1300 v. Chr.  Anleitungen zur Blutegeltherapie in Sanskrit-Schriften (Indien). Dhavantari, der mythische Arzt der traditionellen indischen Medizin, wird mit NektarGefäß in der einen Hand und Blutegel in der anderen Hand dargestellt. 

150 v. Chr. Beschreibung der Blutegeltherapie durch Nicandros von Kolophon (Alexipharmacia). 

50 v. Chr. Römische Schriften zum Vorgehen bei Blutegeltherapie. Griechische Anleitung zur Blutegeltherapie (Themison). 

150 n. Chr. Schrift des römischen Arztes Galen zu Blutegeltherapie und Aderlass (Konzept des Ausgleichs der Körpersäfte/ Humoralmedizin).

1000 n. Chr. „Leecher“ (nach leech = Blutegel) wird in England synonym für „Arzt/Heiler“ verwendet.

1799 Blutegeltherapie plus Aderlass bei Kehlkopferkrankung von George Washington. 

1800 – 1850 Exzessive Anwendung von Blutegeln in Europa und USA, später als „Vampirismus“ bezeichnet (z.B. bis zu 80 Blutegel pro Sitzung, insgesamt 42 Millionen Blutegel im Jahr 1833 in Frankreich. Exporte von Blutegeln aus Europa nach USA wurden wegen drohender Ausrottung der Tiere reduziert (Ausfuhrvolumen Blutegel von Deutschland nach USA: 30 Millionen).

1884-1986 Haycraft entdeckt 1884 die gerinnungshemmende Wirkung des Blutegelspeichels. Die Wirksubstanz wird 1904 chemisch identifiziert und als Hirudin in Anlehnung an die Species-Bezeichnung des Blutegels (Hirudo) bezeichnet. 

1955 Isolierung und Produktion von Hirudin aus dem Blutegelspeichel zur medizinischen Verwendung als Gerinnungshemmer (Markwardt).

1986 Zulassung des gentechnologisch hergestellten Hirudin (REFLUDAN ®) als Antikoagulans.

 1920-1940 In Deutschland wieder verstärkter Einsatz der Blutegeltherapie im Rahmen der Naturheilkunde (Aschner, Bottenberg) und zur Verhinderung postoperativer Thrombosen und Embolien.

 Seit 1970 Renaissance der Blutegeltherapie (Europa/USA) im Zusammenhang mit der Anwendung bei chirurgischen Indikationen (venöse Stase, Nekrose-Gefahr) und in der Orthopädie (Arthrosen, Hämatome, Sehnenentzündungen, Rückenschmerzen).

 

Wahnsinn, oder? Blutegel waren wirklich zu jeder Epoche und auf der ganzen Welt im Einsatz um Menschen ihre Beschwerden zu lindern.

 

 

Waren Blutegel wirklich immer und überall im Einsatz?

Es gab schon große regionale Unterschiede in der Anwendung der Blutegeltherapie:

In Russland z.B. blieb die Blutegeltherapie kontinuierlich ein etablierter Bestandteil der Medizin (Verwendung auf dem Land ebenso wie in Blutegeltherapie-Stationen in den Krankenhäusern).

In Europa und USA verlor dagegen die Blutegeltherapie ihren Stellenwert in der Medizin ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit dem Aufkommen von Bakteriologie, Pharmakotherapie und Gerätemedizin.

In einer Reihe europäischer Länder (Deutschland, Österreich, Schweiz, Frankreich, England) und in USA wird jedoch seit ca. 1970 die Blutegeltherapie wieder zunehmend eingesetzt.

In den südeuropäischen Ländern (Italien, Spanien, Griechenland) war und ist die Blutegeltherapie unpopulär, während diese Therapieform z.B. in der Türkei traditionell verankert und auch heute weit verbreitet ist.

In einigen asiatischen Ländern wird die Blutegeltherapie traditionell eingesetzt (Indien, Malaysia, Indonesien), während in China die konventionelle Blutegeltherapie nicht geläufig ist, dagegen aber Therapien mit Blutegel-Extrakten (Pulver, Mixturen) eingesetzt werden.

Auch hier gilt: Andere Länder, andere Sitten

Wie werden Blutegel bis zu ihrem Einsatz am Mensch oder Tier gehalten?

Informationen zur Qualitätssicherung der Haltung von medizinischen Blutegeln sind im Anhang erläutert

FAQ – Häufige Fragen

Wer darf medizinische Blutegel als Arzneimittel in Verkehr bringen?

In Deutschland die Biebertaler Blutegelzucht GmbH und Animalpharma GmbH medizinische Blutegel als Arzneimittel in Verkehrbringen ( Stand August 2012).

Wo liegen die Unterschiede zwischen Medizinischen Blutegeln aus dem Internet und medizinischen Blutegeln aus der Apotheke oder von den vorgenannten Arzneimittelherstellern?

Die medizinischen Blutegel von Anbietern aus dem Internet unterliegen keiner Überwachung durch eine Arzneimittelbehörde. Ihre Qualität und Sicherheit für die medizinische Anwendung ist nicht gewährleistet. Im Gegensatz zu den Egeln aus der Biebertaler Zuchtfarm & Apotheken. Diese werden streng überwacht.

Wer darf eine Blutegeltherapie durchführen?
  • Ärzte und Heilpraktiker an Patienten mit deren Einverständnis
  • Patienten in Selbstmedikation (das erforderliche medizinische Fachwissen und die Risiken sollten bekannt sein)
Was passiert mit den medizinischen Blutegel nach der Behandlung?

Auf arzneimittelrechtliche Veranlassung müssen Blutegel nach der Therapie aus Sicherheitsgründen vor der Übertragung von Infektionen auf andere Patienten getötet werden (einfrieren). Ein Aussetzen in der Natur ist nicht erlaubt. Die Aufbewahrung beim Patienten zu Hause ist aufgrund der Verantwortung des Therapeuten für das gebrauchte Arzneimittel keine Alternative zur Entsorgung.

Dürfen medizinische Blutegel (z.B. aus Vorsorgegründen für den Urlaub) über Staatsgrenzen transportiert werden?

Innerhalb der EU dürfen medizinische Blutegel (mit Einkaufsbeleg aus der Apotheke) frei über die Grenzen transportiert werden. Ein Transport über die EU-Grenzen ist nur mit CitesBescheinigungen möglich, die beim Bundesamt für Naturschutz in Bonn zu beantragen wären (s. http://www.bfn.de/0305_cites.html).

Egel = Arzneimittel?

Blutegel sind tatsächlich zugelassene Arzneitmittel. Daher müssen die „Hersteller“ (=Zuchtfarmen) einige Gesetze und Vorschriften bei der Aufzucht beachten:

 

  • 8 Monate Quarantäne (nach wissenschaftlicher Erkenntnis danach virenfrei im MagenDarmtrakt), (Forschungsauftrag der bbez im Jahre 2009 abgeschlossen)
  • Keimuntersuchung von Wasser und Egeln (innen, außen) zu Beginn der Quarantäne
  • Keimuntersuchung von Wasser und Egeln (innen, außen) bei Chargenfreigabe
  • Regelmäßige Kontrolle der physikalisch-chemische Parameter des Chargenwassers
  • Blutfütterung mit Pferdeblut, das auf kritische Viren untersucht wird
  • Gesundheits- und Qualitätsprüfung vor der Verpackung zum Versand
  • Größensortierung gemäß therapeutischer Anforderung möglich
  • Wissenschaftliche Untersuchungen an der Uni Gießen haben gezeigt, dass ein 3 minütiger Waschvorgang der Blutegel unter fließendem Wasser direkt vor der Anwendung die Bakteriendichte auf der Egelhaut massiv reduziert (Forschungsauftrag der bbez im Jahre 2010 abgeschlossen)

Wo leben Blutegel?

Blutegel brauchen zum Überleben Wasser.An Land ohne genügend Feuchtigkeit vertrocknen und sterben sie.

Natürliche Vorkommen finden sich noch in:

  • Überflutungsteichen und Flussdeltas der Donau abwärts ab Serbien
  • rund ums schwarze Meer
  • Türkei weiträumig in Feuchtgebieten

Gibt es verschiedene Blutegelarten?

Ja, gibt es: zur Gattung Hirudo gehören die Arten

  • H. verbana
  • H. medicinalis
  • H. orientalis

Allerdings kommt seit den 70iger Jahren des 20. Jahrhunderts fast ausschließlich Hirudo verbana in der medizinischen Anwendung zum Einsatz.

H. medicinalis und H. verbana stehen gemäß Washingtoner Artenschutzabkommen unter Artenschutz und dürfen nicht ohne behördliche Erlaubnis über EU Grenzen transportiert werden. Die Blutegel-Zuchtfarm in Biebertal bemüht sich auch H. medicinalis Nachzuzüchten. Mal schauen was daraus wird.

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